Aus einer gewissen Entfernung gesehen
Zu den Bildserien von Ludwig Arnold


Es ist eine Distanz, die neugierig macht. Und es ist unklar, ob diese Bilder den Betrachter emotionell berühren werden. Ludwig Arnolds gemalte Landschaften sind angedeutete Realität. Der Betrachter will es meistens genauer wissen: "Wo ist das?" lautet eine der häufigsten Fragen zu Arnolds topographischen Bildern. Das Spektrum seiner Motive umfasst die zivilisatorischen Landschaften der Städte und des Verkehrs wie auch die vermeintlich intakte Natur. Man findet Skylines von Hochhäusern darunter wie auch idyllische Szenerien aus den Bergen, Strandstücke oder den Tower eines Flughafens. Zu unterscheiden sind drei Typologien: die Gruppe der Naturstücke ohne Bebauung, wie die Ansichten verschiedener Seen oder ein Sonnenuntergang hinter den Bergen, die Gruppe der bebauten Landschaften, wie der Blick auf Städte, auf Gebäudekomplexe oder auch auf industrielle Anlagen. Eine dritte Gruppe bildet Fahrzeuge ab: Nach Serien mit verschiedenen Autotypen und Zügen entstehen derzeit Passagierflugzeuge und Hubschrauber. Bilder eines zivilen Fortbewegungsmittels stehen gleichwertig neben Abbildungen militärischer Fahrzeuge. Die Auswahl des Künstlers wertet nicht, sie stellt lediglich das Einzelobjekt oder den speziellen Landschaftsausschnitt zur Schau. Die Perspektive aus einer gewissen Entfernung, als stünde der Beobachter in sicherem Abstand diesseits des Geschehens, ist ein Charakteristikum dieser Arbeiten - die konsequente Abwesenheit der menschlichen Figur ein anderes. Das Bildschema, ein angeschnittenes Panorama im Querformat, suggeriert eine Breitwandoptik und ist mit anderen Gemälden gleichen Formats aus den drei Typologien kombinierbar.
Ludwig Arnold entscheidet sich aus seinem Fundus von Abbildungen behutsam für ein zu malendes Motiv. Doch diese Motive sind erst in zweiter Instanz vom Künstler gewählt: seine Bildvorlagen stammen von fotografischen Aufnahmen, meist von Zeitschriften oder Werbematerial, mitunter auch von eigenen, banalen Reisefotografien. Die erste Instanz sind also Fotografen und Redakteure von Druckmedien, die das jeweilige Motiv als bildwürdig für einen bestimmten Zweck, etwa für die aktuellen Nachrichten, gewählt haben. Es wurde aufgrund seines hohen Gültigkeitswertes ausgesucht, um in tausendfachen Auflagen verteilt zu werden. So ein Foto steht ähnlich einer Ansichtskarte für einen bestimmten Topos, den jeder schnell erkennen soll. Der Künstler verfremdet das Bild, indem er nur das für ihn Wesentliche, das zentrale Motiv des Fotos malt. Dennoch weiß der Betrachter eines Gemäldes, obwohl er mit einer stark reduzierten Malweise konfrontiert ist, sofort zu unterscheiden, dass es sich hier nicht um eine phantastische Landschaft, sondern um einen realen Ort handelt - seine spontane Frage nach diesem Ort verrät das.
Für alle Motive gelten die gleichen Bedingungen der Inszenierung: Sie wirken weder beschönigt noch bedrohlich, im Unterschied zu vielen anderen Kunstwerken der gegenständlichen Malerei, bei denen eine unterschwellige metaphysische Stimmung als Stilmittel latent ist. Dieser Umstand signalisiert, dass erst in zweiter Linie der dargestellte Gegenstand im Interesse des Malers liegt, in erster Linie ist es die Malerei als solche. Für seine Malweise ist ein breiter Pinselstrich charakteristisch, der die Gegenstände nur körperhaft andeutet; auf Zeichnung wird völlig verzichtet. Seltsamerweise entpuppt sich diese scheinbar "grobe" Technik als feine Könnerschaft, die den Bildgegenstand nicht nur plastisch erscheinen lässt, sondern ihn auch mit zunehmender Entfernung konkretisiert. Die Methode ist Einfachheit - ihre Kraft liegt in der Wirkung. Die Malweise Ludwig Arnolds erinnert an die zen-buddhistische Tuschmalerei, wo es als höchste Meisterschaft gilt, wenn ein Sujet in einem Durchlauf mit wenigen präzisen Pinselstrichen so treffend wie möglich charakterisiert wird. Ein weiterer Zusammenhang zur religiösen Praxis besteht in der Repetition: In der Regel wird ein Bild in kleinsten Nuancen abgewandelt mehrfach wiederholt, manchmal auch in verschiedenen Formaten. Eine so entstandene Werkgruppe hat den Charakter einer meditativen Übung. Doch gleichzeitig spielt der Künstler (mit einem ironischen Seitenblick auf seine Vorlagen) auf die Multiplizierbarkeit des Bildes an, die im Bereich der Druckmedien schon lange hemmungslos jegliches Maß überschritten hat - die aber in der Kunst noch immer ein Original hervorbringt. Der Tower des Münchner Flughafens ist ein solches Motiv: In einer älteren Illustrierten hat den Maler die Fotografie des Towers im lilablassblauen Nebel der Flughafenbeleuchtung inspiriert. Die später entstandenen Gemälde bilden diesen Tower ab, doch die Präzision der fotografischen Aufnahme mit all ihren Details von Gebäudeteilen, Fenstern und Lichtquellen weicht dem breiten Pinselstrich, der diese nur andeutet. Wesentlich ist, dass eine Serie zu den Variationen der Farbe Lila vom Violett bis zum Rosa entsteht, der Tower im Nebel also lediglich der Anlass für diese Farbklänge ist. Hier setzt die Romantik in der Malerei von Ludwig Arnold ein. Und hier kann sich auch Emotionalität einstellen: Sie kommt nicht über die Motive, sie wird durch Farben und Erinnerungen hergestellt.

Barbara Rollmann-Borretty

Katalogtext zu ”Ludwig Arnold Bilder 2000-2004" Galerie Heufelder.Koos München 2004